Kolumne I: Ein Bonsaijahr

Manchmal möchte ich die Natur einfach zubetonieren.
Ein grossen Laster kommen lassen, den dicken Schlauch quer drüber schwenken und einfach laufen lassen und das ganze Grünzeug unter einem Schwall aus flüssigem Stein begraben, trocken lassen und dann meinetwegen grün anmalen.

Es beginnt schon im Frühling, wenn all das Gewürm, die Viecher und sonstiges Geschmeiss sich wieder vermehrt, die Fliegen, Larven und Läuse die Bäume befallen und zur halbstündlichen Kontrolle zwingen, Spray und Stäbchen in den Händen, bewehrt um alles zu killen, was den liebgewonnenen Bäumen ans Laub und Holz will. Gleichzeitig versucht man mit den Füssen die Vögel zu vertreiben, die nichts besseres zu tun haben, als Moos aus den Schalen zu picken, um ihre Nester zu bauen, anstatt die das Moos aus den Fugen des Gehwegs holen, um sich als Nützlinge zu erweisen. Dazu noch ecklige Spinnen, die es, obwohl man die Netze jeden Tag entfernt, am nächsten Tag an gleicher Stelle nur noch mehr gebaut haben, um einen zu verhöhnen, einem dem gärtnerischen Mittelfinger zu zeigen.

Im Sommer wird dann alles in Deckung gebracht, was nicht drei mal am Tag unter einen Gartenschlauch passt, weil es ja wieder einmal sechs Wochen keinen Regen gibt und Deutschland zur Wüste mutiert, man sich wünscht, Kakteen zu züchten. Das abendliche Giessen würde man am liebsten weglassen, um sich nicht jede Nacht schlaflos wundzukratzen, von den ganzen Mückenstichen. Können die nicht lieber die schwärmenden Nachbarskatzen attakieren, die einem nur wieder die Bonsaischalen zuscheissen, weil sie das Substrat für Katzenstreu halten ? Regnet es dann endlich, hat die Natur nichts besseres zu tun, als mit Pilzen und Mehltau um sich zu werfen, natürlich auf den Eichenbonsai und nicht an der riesigen Eiche hinten im Garten, die man nicht fällen darf, obwohl man es gerne wollte, um dann endlich im Herbst die ganzen Eicheln und das Laub los zu sein.
Im Herbst greift die Natur nämlich zur Verschwendung, Laub in Bergen, das sich von teuren Dünger- und regelmässigen Wassergaben genährt hat. Da opfert man Zeit und Geld und sogar das eigene Blut und was gewachsen ist, wird sinnloss im Garten verteilt, um dort die Grundlage für die nächste Unkrautgeneration zu schaffen, anstatt dem Baum weiter zu dienen, wie schwachsinnig ist das denn ? Und Früchte in Mengen, Eicheln millionenfach, als ob eine pro Jahr nicht reichen würde, um sich zu vermehren. Dazu dann wieder Vögel, grabende Mäuse und Eichhörnchen in den Schalen. Wollt ihr wissen, was makaber ist ? Makaber ist, wenn der Bonsai so viel Früchte auf sein Substrat wirft, dass ein Eichhörnchen beim Versuch, die alle in der Schale zu vergraben, den Bonsai komplett ausbuddelt und er daran stirbt. Das ist makaber.
Dann, kurz vor Weihnachten wird alles, schon halb tot und schwach von dem ganzen Stress, vom Schnee erdrückt, ummöglich zu giessen, das wichtigste wird eingegraben oder im Kalthaus vor der Grausamkeit der Natur geschützt, ihr entwendet, um dem andauernden Tod durch die Naturgewalten ein Schnippchen zu schlagen. Die Bäume wie magersüchtige Gerippe entstellt. Natürlich ist der Schnee zu Weihnachten schon wieder weg, im Januar sind alle Pflanzen verwirrt und strecken die ersten Knospen, wollen sich wehren gegen diese Flut an Widrigkeiten und, zack, gibt es im März nochmal zwei Wochen Schnee und Dauerfrost, der dann direkt ohne Frühling in 28 Grad Hochsommer und grausamste Trockenheit übergeht.

Dann beginnt das Jahr erneut, die Bonsai wohl plaziert, um die ersten hellen Frühlingstage voll auszukosten, und plötzlich ist es da, das Grün, es streckt sich, jeden Tag ein bisschen mehr, erst kleine Punkte, dann Knospen, dann helle Blätter und Nadeln. Es wächst und gedeiht. Und blüht, in sonnenhellem Gelb und Weiss und Rot. Im Sommerlicht erstrahlen die Bäume in jedem Detail, die Rinde heilt, jeder Ast wirkt kräftiger als je zuvor, neue Knospen, Nadeln, Blätter, wohin das Auge nur blickt, wehend in der leichten Sommerbrise. Im Herbst dann ein Farbenspiel, dass seines Gleichen sucht. Rot und Gelb und Braun in allen Nuancen, eines Meistermalers würdig, hat die Natur den Pinsel rausgeholt und meine Bonsai angemalt. Im Winter dann, des Laubes beraubt, stehen sie da, nackt, aber kraftvoll in der Erde und der Schale, jeder Stamm ein Wunder, jeder Ast erhaben und stark.

Manchmal möchte ich die Natur einfach zubetonieren.

Aber eben nur manchmal …

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