this mortal coil

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Bonsai kann ich nicht mehr nur als Baum-in-Schale sehen. Für mich ist die Gesamt-Präsentation enorm wichtig geworden, es spielen Kultur, Wohnstil, Design, Musik, Geschichten, Bedeutung und Aussage und der persönlicher Geschmack zusammen. Dadurch entsteht eine Zielsetzung, die mit der üblichen Bonsai-Tradition einfach nicht zu vereinbaren ist. Holztische sind mir irrelevant geworden. Reife kann irrelevant werden. Nebari, Verjüngung und Verzweigung kann irrelevant werden. Es zählt nur noch die Konzeption mit deren Hilfe der Baum zur Aussage wird.

Obwohl dieser Baum noch sehr jung ist, hat die finale Präsentation eine längere Geschichte.

Als eine private Sammlung 2013 in Berlin via ebay aufgegeben wurde, fand sich dort auch eine gekringelte Lärche. Diese Gestaltungsform nennt man Bankan-Stil und symbolisiert im Japanischen den Drachen. Ohne groß sichtbares Nebari (aber gerne mit einer sich noch einmal herausreckenden Wurzel als „Schwanz“) und nur mit wenig Laub wurde der Baum seither weiterentwickelt, stand kurzzeitig in einer grün glasierten Nanban-Schale und sah an sich ganz nett aus.

Gleichzeitig erwähnte in einem Forum jemand die Idee, wie ein Baum verkehrt herum wachsen könnte und skizzierte dazu einen recht komplizierten Holzrahmen. Seit 2014 experimentiere ich wiederum mit Tischen und Regalen aus den verschiedensten „anderen“ Materialien. Plastik, Beton, Stahl, Kupfer und eben auch Acrylglas. Der Ständer ist  ein Regenschirmständer aus Plexiglas GS, leicht umgebogen, um die richtigen Winkel zu haben. Eigentlich wollte ich im oberen Loch eine Trichterschale versenken und den Beisteller darunter platzieren …

Und dann kommt irgendwann dieser wunderbare Moment, wenn der entscheidende Funke überspringt. Das Zünglein an der Waage. Der „Groschen fällt“. Man sieht ein weiteres, neues Teilstück und aus den hunderten Ideen und Bruchstücken, die einen umtreiben, es kristallisieren sich plötzlich einige wenige heraus und bilden ein zusammenhängendes Ganzes. Das Bild komplettiert sich und wird größer als seine Teilstücke.

Das letzte Puzzleteil waren hier die aus dunklem, nordischen Ton gefertigten Totenkopfschalen, die Thor Holvila, von dem ich schon einige Schalen besaß und mir auch schon welche hatte anfertigen lassen und deren wilde Ursprünglichkeit ich sehr schätze, im Frühjahr 2016 erstmals präsentierte. Ich lies mir sofort eine in der richtige Größe anfertigen.

Der Trick bei der Schale ist das nachträglich eingepasste Innenleben zur Befestigung von Baum und Moos. Ohne sichtbaren Draht kann der Baum normal in der Schale fixiert und gepflegt werden und bei einer Präsentation wird er einfach verkehrt herum aufgehängt. Das normalerweise extra „nach-unten-drahten“ der Zweige entfällt, umgedreht steht das normalerweise nach oben wachsende Laub dann wirklich nach unten und bildet die Flügel und die Schwanzflossen des Drachen. Beim Drahten der Zweige muss man jedoch mehrfach „verdreht“ denken.

Nun hatte ich also: eine Totenkopfschale, einen Baum im Bankan-Stil, einen Drachen, einen Plexiglasständer im Modern Living Style, der bei der richtigen Beleuchtung und dem richtigen Hinter- und Untergrund fast unsichtbar wird und die praktische Umsetzung des hängenden Baumes.

Modern Living Style IV aka „this mortal coil“

Titel: “this mortal coil”
Stil: Bankan-Stil, hängend, „a face to face the audience“
Präsentations-Stil: Modern Living Style
Schale und Beistellerschale: Thor Holvila
Alter (geschätzt): 9 Jahre
Höhe ab Schalenkante: -18cm (ja, wirklich MINUS 18cm)
Gesamte Höhe der Präsentation: ca. 60cm

Der Baum wurde auf der Jahresausstellung des Bonsai-Club Deutschland (BCD) am 4/5.6.2016 in Leipzig und auf dem Sommerfest des Bonsai Fachforums am 17./18.06.2016 in Lippstadt wie folgt präsentiert.

„This Mortal Coil“ ist nicht nur der Name einer meiner alten Lieblingsbands (mit dem engelsgleichen Gesang der Elizabeth Fraser), deren Musik als Soundtrack zu der Gestaltung nicht besser passen könnte (insbesondere „Song To The Siren“), sondern bedeutet wörtlich übersetzt: “Diese sterbliche Spirale”, eine gute Beschreibung des Baumes. Zusätzlich ist der Name aber auch ein Sprichwort und bedeutet soviel wie “Die Mühsal allen Irdischen”. Der Baum, der sich ins Leben winden musste. Entwicklung aus dem Vergänglichen. Im Bankan-Stil wiederum entflieht der Drache der Höhle. Das Lebende erwächst aus dem Toten. Im Englischen wird der Bankan-Stil wiederum „coil style“ genannt und „coil“ übersetzt man wiederum mit „Wicklung, Windung oder sich schlängeln“.

Der Kreis von Name, Gestaltung, Präsentation und Aussage ist somit auf mehreren Ebenen, Kulturen, Sprachen und anderen Künsten miteinander verwoben und wieder in sich geschlossen.

Video „this mortal coil – Song To The Siren“

 

One thought on “this mortal coil

  1. I am honestly speachless. This is one of the coolest and brave new thinking I have seen so far! You have managed to combined
    material and sharpedge technique with raw and rough and still kept the „asian“ feel of it. To let the pot hang in wire gives the composition a focus and balance. Totally amazing.

    I am proud and honoured to be a part of this piece of art.

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