… bei Mauro

(das Folgende ist jetzt nicht wirklich modern. Es sieht so aus, als ginge ich einen Schritt zurück, aber das ist Anlauf nehmen)

Da ist das Jahr 2015 kaum vorbei und wupp, ist schon Mai. Mein Mai war etwas sehr besonderes. Nach 2 Tagen wildem Serpentienenfahren und Schlängeleien durch furchtbar enge Bergdörfer sowie einem Besuch beim wohl extravagantesten „Stein- und Knochenmaler“ kam endlich Arco, und danach ?
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Mauro Stemberger hatte ich fast ein Jahr vorher kontaktet und nach einem Long-Term-Workshop gefragt. Er ist fast 250 Tage im Jahr unterwegs, doch die Woche nach Arco passte perfekt. Er hat knapp 20 Schüler, die ab und zu vorbeikommen, aber nach 3 Schülern aus der ganzen Welt und einer Deutschen war ich erst Schüler Nr. 5 für eine Woche. Hab ihn dann am Sonntag abend getroffen und mich an seine Fersen geheftet, was bei einem typisch italienischen Fahrstil und weiteren nächtlichen Bergstrassen gar nicht so einfach war.

Die Chemie hat sofort gestimmt. Mauro nimmt seine Techniken sehr Ernst und ist extrem exakt, manchmal gibt es „Shiiitt wire“ und ein“what are you doing ?“, gleichzeitig ist er locker, modern und wirklich lustig und nimmt den Rest des Lebens eben oft auch nicht so ganz wichtig. „It’ll do rightly“. Passtscho.

Einquartiert im urigen Berghaus seiner Mutter ging es am ersten Morgen ins Haus mit Werkstatt, wo er auch seine Ausstellungsbäume vorbereitet. Kinnlade gaaaanz tief unten.

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Tag 1: Drahten. Grundlagen und Regeln des Drahten. Theorie. Dann Übungsäste. Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3, bis sich eine Mischung aus Kupferpatina, Harz, Blut und Schweiss in jeder Pore festgesetzt hatte. Ging die nächsten Tage auch nicht mehr ab und war nur durch Jin-Mittel zu überlagern. Gelbsucht an den Fingern. Ja, geht.

Tag 2: Nr. 4 drahten. Vom Meister abgenommen und für gut befunden durfte ich dann an seine Bäume …

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… Unkraut zupfen, Jins anmalen, umtopfen. Pinzieren, wieder Jins anmalen, Kerzen schneiden. Drahten, stellen, einfach alles. Von morgens um 8 bis abends in die Nacht.

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Tag 3: Bei einem Besuch in der (auch Bonsai-) Gärtnerei eines Freundes durfte ich mir meinen Projektbaum aussuchen und von Grund auf bearbeiten. Die Sabina sprang mich geradezu an. Wieder Unkaut, reinigen, bürsten, Jin-Mittel. Alles ab, was doof ist, erste Stellprobe. Raffia, Tape. Drahten. Mit 4mm Kupfer angefangen. Doppelt !

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Tag 4: meine Sabina fertig drahten. Bei 0,5mm angekommen. Der Meister macht die grosse Biege und überarbeitet mein „Stellen“. Voila.
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Tag 5: ein Besuch auf 2000m im Yamadori-Land. Der Rest des Tages klang dann noch mit Totholzarbeiten, Pflege und wie an jedem Tag lecker Essen von Mama bzw. im Restaurant aus. Bestes Bier, Hausgemachtes, Sushi und die wohl beste Pizza der Welt. Am nächsten Tag mit der Sabina auf dem Beifahrersitz die 1000km nach Hause gezuckelt. Glücklich und völlig überwältigt wird jetzt Pfingsten genutzt, um das alles zu verdauen.

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Jederzeit wieder.

Sind Bonsai Kunst ?

Vorweg, meiner Meinung nach ein klares: Nein.

Kunst ist für mich eine Nonkonformität, ein Spiel mit Objekten, Materialien, eine andere Sichtweise, Darstellung oder Formgebung. Meinetwegen eine Aussage, ein Bezug zur Realität, zum Künstler, zur Zukunft. Eine Veränderung, eine klar wiedererkennbare Handschrift des Künstlers.

Solange ein Bonsai „anerkannten“ Regeln folgt, er vom Gestalter selbst in Grössenklassen eingeteilt wird, das Gehabe des Bonsai festgelegten Formen folgt, sich ausschliesslich an der Natur orientiert oder seine Präsentation in Tradition verankert ist, kann er eben für mich kein Kunstwerk sein. Solange Bonsai nach einem Kriterienkatalog bewertet und für Ausstellungen zugelassen werden, werden Gestalter diesen Regeln folgen. Wer aber diesen Regeln folgt, drückt sich nicht selbst aus, ist nicht kreativ, sondern eben ein Kunsthandwerker. Und schleift nur wieder den millionsten Nussknacker in Form.

Nur die wenigsten Bonsai tragen eine Handschrift des Gestalters. Vielleicht in Details. Manchmal. Qualitativ hochwertige Bäume könnten aber von dutzenden Top-Gestaltern bearbeitet worden sein, persönlicher Ausdruck verschwimmt da völlig. Auf der letzten Noelanders guckte ein Besucher auf das Schild des Ausstellungsbaumes und sagte ganz ernsthaft: „Guck mal, ein Ferrari“. Und seine Begleitung: „Toll, dass der jetzt auch Bäume designed“.

Manche Gestalter haben den ersten Schritt gewagt und eigene, neue Stile kreiert, damit die Handschrift wieder erkennbar wird. Aber seien wir einmal ehrlich. Naturalismus in der Kunst ist seit Jahrzehnten überholt, die letzte Form des Naturalismus war vielleicht noch der Fotorealismus, auch das ist Jahrzehnte her. Die Natur nachzuäffen, mag in grosser Perfektion einmal Kunst gewesen sein. Ist heutzutage aber weder neu noch kreativ sondern nur ein Abgucken und Abformen. Und den Naturalismus dann einfach naturalistische Gestaltung zu nennen, ändert nichts, sondern ist auch nur wieder rückwärts gerichtet, orientiert sich am Gegebenen. Vielleicht Nick Lenz ? Vielleicht. Ansatzweise. Ein gewisses Formenspiel. Ein paar andere Materialien. Gar manchmal unnatürliche Darstellungen. Trotzdem sitzt dort unter jedem Baum die traditionell richtige Schale.

Wo sind den die Gestaltungen, die mit der zum Leben des Bonsai notwendigen Schale und dem Baum selbst spielen ? Wo ist die Formgebung im Baum, die nichts mit der Natur oder bekannten Formen mehr zu tun hat, sondern sich z.B. an Architektur oder aktueller Bildhauerei orientiert ? Wo sind zeitgenössige oder völlig ungewohnte Materialien bei der Schale und wo die Pflanzen abseits der gewohnten Trampelpfade ? Wo ist die Präsentation entgegen der fest zementierten Tischmanieren und wo der Bruch mit der japanischen und chinesischen Tradition ? Wo ist ein Bezug zum persönlichen Hintergrund, zur eigenen Geschichte oder Zukunft ?

Kunst nur als solche zu deklarieren reicht mir nicht. Sonst ist plötzlich jeder Gartengestalter ein Künstler und jeder beschnittene Obstbaum ein Kunstwerk. Es ist nicht schlimm, wenn Bonsai „nur“ ein faszinierendes Handwerk mit absolut bewundernswerten Höchstleistungen mancher Gestalter ist. Oder als Hobby betrieben einfach nur Spass macht und für Erholung sorgt. Aber Kunst ist es bis jetzt noch nicht.